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Leif Göritz
Erste Eindrücke - Ankunft in Guatemala City
Die quirlige Hauptstadt, kurz Guate genannt, liegt auf 1500 m Höhe und wird von über 2 Millionen Menschen bevölkert. Als ich auf dem Flughafen um 22.00 Uhr abends ankam, war ich heilfroh, einen Agenten von meiner Sprachschule am Ausgang zu sehen, der mich in Empfang nahm. Mit noch sehr lückenhaften Spanischkenntnissen und der gerade erst gelesenen "Dangers and Crimes" – Sektion des Lonely Planets im Hinterkopf, war ich sehr froh, nicht völlig alleine in diesem Chaos zu stehen. Die abendliche Taxifahrt vom Flughafen führte durch ein wildes Durcheinander, in dem sich verbeulte PKW, die der TÜV in Deutschland bereits vor 20 Jahren aus dem Verkehr gezogen hätte, und alte, röhrende Busse ihren Weg durch das Chaos hupen. In diesem Inferno, in dem Dunst, der durch die Dieselschwaden die ganze Zeit herrscht, gibt es nur eine klare Regel. Es ist das Gesetz des Dschungels, aus dem sich hier alle Verkehrsregeln direkt ableiten – "der Stärkere gewinnt!" Busse und riesige LKW`s stehen ganz oben in der Hierachie der Starken und der Schwachen, Fußgänger und Hunde ganz unten. Dazwischen zählen allein gute Nerven und das entspannende Gefühl, in einem Wagen zu sitzen, bei dem es vor lauter Rost nicht mehr darauf ankommt. Guatemala Ciudad bedient die typischen Klischees einer zentralamerikanischen Metropole aufs Beste – Lärm, Schmutz, Armut, Hektik und Kriminalität. Deshalb ist diese Stadt auch nur Ausgangspunkt meiner Reise und kann mich nicht in ihren Bann ziehen.
Quetzaltenango
Am nächsten Tag brach ich direkt nach Quetzaltenango auf, die zweitgrößte Stadt des Landes, die für die nächsten zwei Monate der Ausgangspunkt meiner Erkundungen des Hochlandes sein sollte. Die Straßen im Hochland sind außerordentlich kurvenreich und steil, was die Guatemalteken aber nicht unbedingt zu einer angepaßten Fahrweise zwingt. Das halsbrecherische Schneiden von Kurven gehört ebenso zur Praxis wie das Überholen von langsameren Bussen und LKW`s an unübersichtlichen Stellen.
Quetzaltenango erscheint auf den ersten Blick nicht besonders attraktiv. In der zweitgrößten Stadt des Landes gibt es noch keine Touristenszene, keine Horden von Sprachschülern, wie in Antigua und Panajachel. Von Xela, wie die Einheimischen ihre Stadt nennen, muß man mehr wissen, als die Reiseführer verraten. Erst wenn man längere Zeit dort lebt, entdeckt man die versteckten Reize dieser Stadt. Das Stadtbild ist nicht einheitlich kolonial wie in Antigua, der Markt auf die Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung ausgerichtet und auf 2300 Metern Höhe ist es tagsüber brennend heiß, nachts können die Temperaturen jedoch unter den Gefrierpunkt absinken. Von allen Punkten der Stadt blickt man auf den Vulkan Santa Maria, dessen perfekter Kegel die Stadt um etwa 1500 Meter überragt.
Die Sprachschule
Meine Sprachschule liegt relativ zentral in der Zone 1, in relativer Nähe zum Parque Zentral, dem Herzstück einer lateinamerikanschen Stadt, wie in einem Reiseführer beschrieben "wird hier gefeiert, rebelliert, aufmaschiert und gestorben". Für uns war der Parque täglicher Treffpunkt nach dem Lernen in der Sprachschule oder der Arbeit in den zahlreichen Hilfsprojekten.
Die Sprachschulen geben zumindest alle vor, nur für Hilfsprojekte zu arbeiten, wenn man genauer hinblickt, werden hin und wieder ein paar Dollar vor allen Schülern publikumswirksam an einige ärmlich angezogene Kinder verteilt, was dann als Schulstipendium deklariert wird. Auch der in meiner Schule beliebte Armutstourismus war für mich etwas befremdlich, da die Schüler mit ihren Lehrern zur Besichtigung eines Waisenhauses als Nachmittagsaktivität aufbrachen. Abgesehen von diesen Kritikpunkten meinerseits ist das Preis – Leistungsverhältnis der meisten Schulen extrem gut. Für 100 – 150 USD pro Woche wird man in einer Gastfamilie untergebracht, die mich in meinem Fall als zweiten Sohn völlig in das Familienleben integrierte, man bekommt einheimisches Essen in den Familien, hat fünf Stunden Einzelunterricht mit einem Lehrer fünf Tage die Woche und je nach Schule auch einen freien Internetzugang oder Aktivitäten wie Vulkanbesteigungen etc. inklusive. Bei den Aktivitäten, den Fiestas, den Konferenzen, in denen über die sozialen Probleme und den Bürgerkrieg auf Spanisch diskutiert werden, den Sportangeboten und auch den sozialen Projekten unterscheiden sich die Schulen teilweise gravierend, so daß man sehr schnell erkennt, ob man eine gute oder eine schlechte Schule erwischt hat.
Ich denke, daß ich in den Wochen des Sprachkurses sehr viel gelernt habe, würde aber nicht noch mal so lange in einer Schule am Stück bleiben, sondern früher anfangen zu reisen und einen zweiten Block an einer anderen Schule absolvieren. Insbesondere da ich die letzten drei Wochen an einer bakteriellen Infektion erkrankt war und dadurch letztendlich auch noch das Vergnügen hatte, ein guatemaltekisches Krankenhaus zwei Tage lang von innen kennenzulernen, konnte ich leider nicht den gesamten Sprachkurs voll ausnutzen und auch nicht wie geplant die ganze Zeit in meinem Projekt mit Straßenkindern mitarbeiten. Generell gibt es viele Möglichkeiten, in den meisten Städten in Guatemala in sozialen Projekten mitzuarbeiten. Man sucht sich eine Familie, die einen für 30 USD in der Woche bei sich wohnen läßt und kann dann unbezahlt in den verschiedensten Projekten mitarbeiten.
Impressionen aus dem Hochland Guatemalas
Auf unseren Reisen im Hochland waren wir auf die Camionetas angewiesen. Diese ausrangierten amerikanischen, knallbunt angemalten Schulbusse fahren auch noch in den letzten befahrbaren Winkel des Landes. Die Fahrt mit den Bussen ist billig und langsam, da sämtliche am Straßenrand wartenden Passagiere eingesammelt werden. Kapazitätsprobleme kennt dieses Gefährt nicht. In diese Busse passen so viele Menschen wie hineinwollen. Meistens rumpelten wir völlig überladen mit Schweinen, Hühnern und Früchten auf dem Dach über die Schotterpisten. Stoische Campesinos, dichtgedrängte Indios, eine Luft zum Schneiden und wir als hochgewachsene blonde Gringos dazwischen ohne jegliche Beinfreiheit eingekeilt, entsetzt die Augen aufreißend, wenn schon wieder jemand zusteigt. Der große Vorteil, wenn wir stehen mußten war, daß wir beim besten Willen nicht umfallen konnten. Wir benötigten gelegentlich eine gehörige Portion Humor, Gottvertrauen, wenn bei voller Fahrt mal wieder ein Reifen platzte und eine gute Wirbelsäule, um solche Fahrten durchzuhalten – aber sie gehören dazu, auch wenn es mitunter sehr anstrengend ist.
Insbesondere im Hochland kann man sehr viel von der sozialen Realität in Guatemala sehen und erleben, wenn man sich nicht von der touristischen Fassade des "Gringotrails" blenden läßt, wie zum Beispiel "dem traumhaft schönen typischen Indianermarkt in Chichicastenango", auf dem völlig überteuerter Souvenirramsch für amerikanische Touristen verkauft wird und die Händler in jedem Gringo ein wandelndes Dollar-Zeichen sehen. Als wir ankamen, herrschte auf dem Marktplatz schon geschäftiges Treiben, eine wahre Farbenflut aus bunten Trachten, Stoffen, Blumen und Früchten. Auf den Treppen der Kirche Santo Tomás wird Kopalharz verbrannt. Frische Blumen werden als Opfergabe in der Kirche verstreut. Um die Indígenas bekehren zu können, mußten die Missionare einige Kompromisse eingehen. So wurde die Kirche auf den Stufen eines alten Mayatempels erbaut, um die Bevölkerung überhaupt zum Gang in das Gotteshaus zu bewegen. Bei den Messen mischen sich heute alte Opferbräuche mit katholischen Zeremonien. Schade ist, daß sogar die indianischen Zeremonien mit Opferfeuern und Blumengaben auf den Stufen der Kirche von dem Touristenbüro der Stadt bezahlt sind.
Eine Attraktion des Hochlands sind die Märkte in den Dörfern. Viel authentischer ist die Atmosphäre zum Beispiel auf dem "echten" Indianermarkt in Momostenago, der noch seine eigentliche Funktion als wichtigster Warenumschlagsplatz und Informationsbörse der Einheimischen hat. Im Vergleich zu Chichi oder Panajachel kosten hier die traditionellen indianischen Teppiche und Decken nur die Hälfte und stammen tatsächlich aus Heim- und Handarbeit und nicht aus Webfabriken. In Zunil trafen wir in einer Baracke auf einem Hinterhof auf den heiligen San Simon, die neuzeitliche Mutation einer Maya-Gottheit namens Mam, die in enger Verbindung mit den fünf Unglückstagen des Maya-Kalenders steht. Gleichzeitig soll er für viele den christlichen Judas verkörpern. Sicher ist nur, daß die mannsgroße Holzpuppe, die von Blumen und Kerzen umgeben, mit einem Nadelstreifenanzug und Hut gekleidet, zwar eher nach Mafiosi als nach Gott aussieht, aber trotzdem in diesem Raum eine intensivere Atmosphäre herrschte, als ich jemals in einer Kirche erlebt habe.
Das prägendste Erlebnis meiner Reise war für mich der Besuch eines Flüchtlingslagers im Rahmen der Recherchen für eine Hausarbeit. Das Camp "Triumpho", das von der CPR Sierra – Comunity in Resistance verwaltet wird, liegt etwas vier Stunden nordwestlich von Xela in der Wüste kurz vor der mexikanischen Grenze. In diesem Lager leben seit fünf Jahren 2500 aus Mexiko zurückgekehrte ehemalige Bürgerkriegsflüchtlinge unter erbärmlichen Umständen zwei Stunden von der nächstgrößeren Stadt entfernt. Bei den Flüchtlingen handelt es sich fast ausschließlich um Indeginas, die vor den Massakern und Napalmbombadierungen während der 30 Jahre Krieg aus ihren Dörfern nach Mexiko geflohen waren. Die versprochene Hilfe der Regierung kommt nicht und die Hilfen des Auslandes wurden zum Großteil gestoppt, da der größte Teil der Gelder in Regierungskreisen versickerte, in die mittlerweile die Befehlshaber der Massaker aus den 80er Jahren, diesmal demokratisch legitimiert, wieder eingezogen sind. Völlig überraschend für uns war die Gastfreundschaft, mit der wir aufgenommen und bewirtet wurden. Die Offenheit der Leute gegenüber Fremden, sobald wir zeigten, daß uns ihre persönliche Geschichte tatsächlich interessierte und das Bestreben, obwohl es in diesem Dorf wirklich an allem fehlte, nicht zu resignieren, sondern weiterzumachen und zu versuchen, ihre Situation auch ohne Hilfe zu verbessern.
Wir werden später noch oft mit der bitteren Armut dieser Leute konfrontiert. Jedesmal wenn ich fünfzig Dollar in der Bank umtauschte, wurde mir bewußt, daß ich den Monatslohn eines Fabrikarbeiters in meinen Händen hatte. Gerade die zahlenmäßig stärkste Gruppe im Lande, die Indeginas, bilden, noch dazu in ihrem ureigenen Lande, die unterste Schicht der Bevölkerung. Jahrelang schlimmsten Repressalien durch das Militär ausgesetzt und als Sklaven auf den Fincas weißer Großgrundbesitzer ausgebeutet, ist die Geschichte dieses Volkes schon seit den spanischen Conquistadores ein Weg des Leidens. Ist auch dank der jungen Demokratie Ruhe eingekehrt, so hat sich an den Besitz- und Machtverhältnissen nur wenig geändert. Noch immer besitzen 3 Prozent der Bevölkerung 90 Prozent des Landes, noch immer müssen die Indeginas für einen Hungerlohn auf den Finkas arbeiten, weil die eigenen Parzellen zu klein sind, um die Familien zu ernähren.
Ich kann jedem, der eine Guatemala – Reise plant, nur empfehlen, sich Zeit für die Entdeckung des Hochlandes zu nehmen, ehe man sich auf der typischen Touristenroute Panajachel, Antigua, Livingston, Rio Dulce, Flores, Tikal und weiter nach Belize und vielleicht an die karibischen Strände nach Mexiko begiebt. Generell fühlte ich mich während der gesamten Reise sehr sicher, wobei man natürlich nicht gewisse Vorsichtsregeln für das Reisen in Dritte-Welt-Länder außer Acht lassen sollte.
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